Donnerstag, 29. März 2018

MACH DOCH AUS DEN MÜCKEN KEINE ELEFANTEN

MACH DOCH AUS DEN MÜCKEN KEINE ELEFANTEN 

Danksagung an: Milan und Mike


"Mach doch aus den Mücken keine Elefanten!", 
warnte ich meinen Freund Mikan.
"Hast du eigentlich mal über die Konsequenzen nachgedacht?"
Musste der Typ denn immer übertreiben?

Damals in den Weihnachtsferien hatte er schon aus Langeweile ein Modell eines Teslas hergestellt. Aus Holz gegossen hat er das, genauergenommen aus geschmolzenen Nussschalen. 
Und das war vor drei Jahren, als wir noch in der 6. Klasse waren.
Wir zwei hatten uns erst ein Jahr zuvor im naturwissenschaftlichen Zweig des Gymnasiums angefreundet. Aber dafür ziemlich schnell. Ich bin bis heute von seinen originellen Erfindungen beeindruckt, mögen sie für die anderen noch so klein, unbedeutend und unverständlich sein. Dabei war es ein guter Zufall, dass der Wechsel von der Grundschule ins sprachlich-kulturelle Profil für mich nicht geklappt hatte und ich in Mikans Klasse kam.

Jetzt standen wir in Mikans Zimmer vor der Fensterbank.
Es war das erste Wochenende nach den Osterferien.
Mikan hatte das Glas mit den Mücken in der Hand, worin er schon seit unserer ersten Begegnung tote Mücken sammelte. Es war so ein großes Glas, worin sie auch in Naturkundemuseen große Föten konservieren. Nicht viel weniger eklig eigentlich.
Als Mikan mit dem Sammeln anfing, sammelten andere Pokemonkarten, Briefmarken, Fußballsticker, Footballcaps - oder auch Müll - das war ihm aber alles zu normal und langweilig.
Warum sollte er nicht tote Mücken sammeln, dachte er sich eines warmen Julitages, während er im Bett Französisch lernte.
Die Mücken würden ja eh getötet werden, weil sie nervten. Normal.
Warum aber sollte man sie nicht sammeln können - oder dürfen - anstatt sie wegzuschmeißen?

Mikans Mutter versteht Mikans Hobby bis heute nicht. Bloß kann sie seine Leidenschaft bis heute leider auch weder akzeptieren noch tolerieren. Streit um verschiedene Dinge, die den anderen eigentlich gar betreffen, sind da an der Tagesordnung. Warum ist es so schwer, die Freiheit der anderen zu tolerieren? "Mach mal was Vernünftiges.", sagt seine Mutter oft. Dabei scheint für sie "vernünftig" nicht etwas zu sein, was "rational logischem" Sinn entspringt, sondern nur etwas, dass "normal für sie" ist.
Aber vielleicht macht sie sich auch nur zu viele Sorgen. Dass aus dem vermeintlichen Freak in der normalen Gesellschaft nichts wird.
Viele vergessen, dass Innovationen und neue Entdeckungen gerade denen zu verdanken sind, die out of the box denken.

Ich persönlich finde Mikan cool, mit seinen Ideen und Hobbys.
Aber ich bin ja selber verrückt und mache mir mit meinen Ideen nicht sehr viele Freunde. Ich glaube einige haben Angst, um ihr normales Leben, dass ihr Gewohnheitszug entgleist.

Mikan stellte das Glas auf seinen Schreibtisch, der nicht weniger kryptisch beschrieben war als die Blätter darauf.
Er breitete einen Haufen Blätter auf dem Boden aus und erklärte:
"Wie gesagt, Drahcir. Ich war nicht nur trainieren, essen und Musik hören in meinen Ferien. Als ich einmal längere Zeit tagsüber im Bett lag und die Wand anstarrte, während ich über mein Leben und alles nachdachte, fiel mir auf, ich könnte ja mal den Blickwinkel ändern. 
Also wendete ich mich etwas und schaute aus dem Fenster. Irgendwie nervte mich das große Glas auf der Fensterbank.
Es war ja doch irgendwie plötzlich sinnlos, dass es da stand. 
Wäre meine Mediensucht nicht gewesen, hätte ich das Glas wahrscheinlich spontan entsorgt.
Mit Handy im Bett hatte ich vor kurzem auf Facebook was zum Thema "Vegan", Tierhaltung, Fleisch essen, Gebiss und Klimawandel gelesen.
Es gibt ja auch dieses Sprichwort: aus der Mücke einen Elefanten machen.
Sofort war mir klar: Ich werde die vielen toten Mücken zu toten Elefanten verwandeln, die Fleisch und Elfenbein bieten. Da sie dann eh schon tot sind, muss das Töten moralisch gar nicht mehr bedacht werden."
Mikan zeigte Fotos von Elefanten, afrikanischen und asiatischen, und kleinen schwarzen und großen bunten Mücken. Eine Gegenüberstellung von Gemeinsamkeiten in der Anatomie - beide haben Kopf, Körper und Beine. Einen Vergleich ihrer DNA-Bausteine und Planungen zur DNA-Modifikation sowie Skizzen der Metamorphose vom Mückenkörper zum Elefantenkörper.

"Ja, Mikan.", unterbrach ich ihn kurzerhand.
"An sich ist es ja schon ziemlich abgefahren. Aber du kannst doch nicht im Ernst aus Mücken Elefanten machen. Das kann wissenschaftlich doch schon theoretisch kaum möglich sein.
Der Elefant hat ja tausendfach mehr Masse."

"Je nach Art und Geschlecht millionenfach mehr.", verbesserte mich Mikan.

"Hast du dein Verfahren schon mal getestet?", fragte ich.

"Ja, mit 2-3 Mücken auf dem Dachboden. Ich habe einfach die DNA extrahiert, wie wir es in der Schule mal gemacht hatten. 
Im Internet habe ich recherchiert, welche Reagenzien welche Basen in der Doppelhelix verändern und welche Aminiosäuren und folglich Proteine, Fette und Gewebe sich dadurch ergeben.
Das Wachstum und die Zellteilung im toten Körper initiierte ich mit einem speziellen Primer, den ich aus der Barbecue-Sauce getrennt hatte. Alles kein Hexenwerk.
Allerdings beschränkte ich das kontrollierte Wachstum auf die Größe des Dachbodens."

Ich staunte.

"Ich will ja aus der Mücke keinen Elefanten machen.
Aber ich wittere trotz deiner noch so guten Idee große Gefahren.
Neider, die dir den Erfolg nicht erlauben wollen. Machthungrige, die dich bestechen wollen und deine Erfindung missbrauchen könnten."

"Drahcir, mach doch einmal nicht aus der Mücke einen Elefanten.
Denk mal bitte ein kleines bisschen positiv."

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